Mentoren statt Manager: Warum Azubis in der Pflege mehr Begleitung brauchen
Ein Beruf mit hoher Abbruchquote
Die Pflege gilt als Schlüsselberuf der Zukunft, und gleichzeitig steigen die Abbruchquoten seit Jahren. Rund ein Drittel aller Pflege-Auszubildenden beendet die Ausbildung vorzeitig (Quelle: DBfK, 2024). Die Ursachen sind vielfältig: Überforderung im Alltag, fehlende Begleitung und ein Gefühl, von Beginn an allein gelassen zu werden.
Während andere Branchen längst auf strukturierte Mentoring-Programme setzen, fehlt es in der Pflegeausbildung häufig an genau diesen Stützpfeilern. Das Ergebnis: Talente gehen verloren - in einer Zeit, in der Deutschland jeden einzelnen Pflegefachkraft-Nachwuchs dringend braucht.
Der fehlende Baustein: Praxisanleitung
In den Curricula ist Praxisanleitung eigentlich fest verankert. Jede Auszubildende soll regelmäßig begleitet werden, mit Reflexionsgesprächen, Feedback und gezielten Lernschritten. Die Realität sieht oft anders aus: Überlastete Stationen, Fachkräfte im Dauerstress, kaum Zeit für systematische Anleitung.
Eine Befragung des Deutschen Pflegerats zeigt: Viele Azubis erhalten Praxisanleitung nur sporadisch, manche sogar gar nicht (Quelle: DPR, 2024). Stattdessen übernehmen sie früh komplexe Aufgaben - ohne das nötige Sicherheitsnetz.
Wertschätzung als Schlüssel
Noch schwerer wiegt, dass Azubis sich häufig nicht ernst genommen fühlen. Viele berichten, sie würden eher als günstige Arbeitskräfte eingesetzt denn als Lernende behandelt.
Studien belegen, dass Wertschätzung und Anerkennung entscheidend sind, um junge Menschen im Beruf zu halten. Wo sie Feedback erhalten, Vertrauen spüren und Fehler als Lernchance betrachtet werden, sinkt die Abbruchquote deutlich (Quelle: BIBB, 2024).
Ein einfaches „Danke“, klare Rückmeldungen oder das Signal, dass Fehler zum Lernprozess gehören, können den entscheidenden Unterschied machen.
Feedbackkultur statt Fehlerkultur
In vielen Kliniken herrscht noch eine Fehlerkultur: Was nicht gelingt, wird sanktioniert, statt als Lernchance genutzt. Für Auszubildende, die noch in der Findungsphase ihres Lebens sind, ist das fatal. Sie brauchen Räume, in denen sie Fragen stellen, ausprobieren und Fehler machen dürfen - ohne Angst vor Bloßstellung. Evidenz aus der beruflichen Bildung zeigt, dass regelmäßige, formative Rückmeldungen die Kompetenzentwicklung und die Bindung an den Ausbildungsbetrieb deutlich stärken (Quelle: BIBB Datenreport, 2024).
Eine offene Feedbackkultur kann dagegen Motivation, Selbstvertrauen und Lernbereitschaft stärken. Sie sorgt dafür, dass junge Menschen das Gefühl haben, ernst genommen und gefördert zu werden (Quelle: BIBB, 2024).
Physische und psychische Belastungen
Die Folgen mangelnder Begleitung zeigen sich nicht nur in Abbrüchen, sondern auch in gesundheitlichen Belastungen. Junge Menschen, die zum ersten Mal mit Schichtdiensten, körperlich anspruchsvoller Arbeit und dem emotionalen Gewicht von Pflege konfrontiert werden, reagieren besonders sensibel.
- Schlaf und Erholung: Unregelmäßige Schichtmodelle erhöhen das Risiko für Schlafstörungen, Erschöpfung und Fehleranfälligkeit - insbesondere bei Berufsanfänger:innen.
- Psychische Gesundheit: Pflegende weisen überdurchschnittlich häufig psychische Belastungen bis hin zu depressiven Symptomen und Angststörungen auf; fehlende Anleitung und hohe Verantwortung in der Ausbildung verstärken dieses Risiko (Quelle: Barmer Pflegereport, 2024).
Gerade in der Phase, in der Identität und Selbstbewusstsein noch wachsen, kann fehlende Begleitung langfristige Folgen haben. Manche verlassen nicht nur die Ausbildung, sondern kehren dem gesamten Berufsfeld dauerhaft den Rücken (Quelle: DBfK, 2024).
Mentorenprogramme als Lösung
Andere Branchen zeigen, wie es besser geht. In IT, Maschinenbau oder Banken gehören Mentoring-Programme längst zum Standard. Übertragbar auf die Pflege sind feste Bezugspersonen, verbindliche Anleitung und regelmäßige Reflexionsgespräche. Für die Pflege bedeutet das konkret:
- Jede:r Azubi erhält eine feste Bezugsperson auf Station - fachlich qualifiziert und didaktisch geschult.
- Praxisanleitung ist verbindlich im Dienstplan verankert - mit Zeitfenstern, die nicht „wegrationalisiert“ werden.
- Feedbackgespräche finden regelmäßig statt und orientieren sich an klaren Kompetenzstufen.
- Mentor:innen werden für pädagogische Begleitung qualifiziert, nicht nur fachlich eingesetzt.
Dass strukturiertes Mentoring wirkt, belegen berufsbildungswissenschaftliche Analysen: Systematische Praxisanleitung reduziert Abbrüche und beschleunigt Kompetenzaufbau, insbesondere in anspruchsvollen, personenbezogenen Berufen (Quelle: BIBB Datenreport, 2024). Zudem schreibt die Pflegeberufe-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung eine gesicherte Anleitung vor - mindestens ein definierter Anteil der praktischen Ausbildung ist durch qualifizierte Praxisanleiter:innen anzuleiten.
Ohne Mentoren keine Zukunft
Der Pflegeberuf braucht Nachwuchs, doch dieser Nachwuchs bleibt nur, wenn er ernst genommen wird. Fehlende Praxisanleitung, mangelnde Wertschätzung und eine schwache Feedbackkultur führen zu Abbrüchen - und zu physischen wie psychischen Belastungen, die junge Menschen dauerhaft vom Beruf entfremden können.
Die Lösung liegt weniger in neuen Gesetzen als in einem Kulturwandel der Ausbildung: Mentoren statt Manager, Feedback statt Fehlerkultur, Begleitung statt Alleinlassen. Das ist belegbar wirksam und es entspricht zugleich den geltenden Ausbildungsanforderungen der Pflege (Quelle: BIBB, 2024).
Pflege-Azubis brauchen nicht nur Fachwissen, sondern Sicherheit, Anerkennung und Unterstützung. Wer das gewährleistet, investiert in die Zukunft und sichert die Versorgung von morgen.
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