Von der Berufung zur Belastung: Die wahren Gründe für Ausbildungsabbrüche in der Pflege

ON7 Redaktion
3 Min. Lesezeit
10.09.2025
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Ein Beruf mit Bedeutung - und mit Abbruchquote

Die Pflege gilt als einer der wichtigsten Berufe unserer Zeit. Sie ist sinnstiftend, systemrelevant und wird in einer alternden Gesellschaft immer bedeutender. Doch die Realität sieht ernüchternd aus: Mehr als ein Drittel aller Auszubildenden in der Pflege bricht seine Ausbildung vorzeitig ab (Quelle: Bundesinstitut für Berufsbildung, 2024). Damit liegt die Abbruchquote deutlich über dem Durchschnitt anderer Ausbildungsberufe.

Die Ursachen sind vielschichtig - und sie zeigen, dass Pflegekräfte nicht an mangelndem Interesse scheitern, sondern an Rahmenbedingungen, die ihren Beruf von einer Berufung in eine Belastung verwandeln.

Überforderung im Alltag

Viele Auszubildende berichten, dass sie sehr schnell mit Aufgaben konfrontiert werden, die über das hinausgehen, was sie in ihrer Ausbildung schon leisten können. Personalmangel führt dazu, dass Azubis oft wie vollwertige Fachkräfte eingesetzt werden - ohne die notwendige Anleitung. Eine Befragung der Gewerkschaft ver.di zeigte, dass über 60 % der Pflege-Azubis regelmäßig Tätigkeiten übernehmen, für die sie noch nicht ausreichend geschult sind (Quelle: ver.di, 2023). Das Resultat: Überforderung, Stress und das Gefühl, den eigenen Ansprüchen und den Bedürfnissen der Patient:innen nicht gerecht zu werden.

Unzureichende Betreuung und Anleitung

Ein zentrales Problem ist die fehlende Praxisanleitung. Ausbildungspläne sehen eigentlich vor, dass Auszubildende eng von erfahrenen Pflegekräften begleitet werden. Doch in vielen Einrichtungen fehlen die Ressourcen. Laut einer Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe gaben 54 % der Azubis an, dass sie zu selten oder gar keine strukturierte Anleitung erhalten (Quelle: DBfK, 2024). Wer sich allein gelassen fühlt, verliert schneller die Motivation - und im schlimmsten Fall auch den Glauben daran, den Beruf langfristig ausüben zu können.

Schlechte Vereinbarkeit von Ausbildung und Privatleben

Pflegeausbildungen sind zeitlich und körperlich sehr fordernd. Schichtdienste, Wochenendarbeit und wenig Planbarkeit erschweren es, Berufsausbildung mit Familie oder sozialem Leben zu vereinbaren. Gerade junge Menschen, die mit anderen Ausbildungen vergleichen, empfinden diese Bedingungen als unattraktiv.

Die Arbeitsbelastung spiegelt sich auch in den Gesundheitsdaten wider: Laut einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geben über 40 % der Auszubildenden in der Pflege an, bereits im ersten Jahr gesundheitlich an ihre Grenzen zu stoßen (Quelle: IAB, 2023).

Image vs. Realität

Viele junge Menschen starten ihre Ausbildung mit idealistischen Erwartungen. Sie möchten helfen, Sinn stiften, einen wichtigen Beitrag leisten. Doch im Alltag sehen sie: zu wenig Personal, zu viele Aufgaben, zu wenig Zeit für die Patient:innen. Eine Befragung des Deutschen Jugendinstituts zeigt, dass 45 % der Azubis die Realität als deutlich belastender empfinden als erwartet (Quelle: DJI, 2023). Das führt nicht nur zu Frust, sondern oft auch zu Enttäuschung - weil Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen.

Was wir daraus lernen müssen

Die hohe Abbruchquote in der Pflegeausbildung ist kein Zeichen von Faulheit oder fehlender Resilienz. Sie ist ein systemisches Warnsignal. Wenn junge Menschen, die bewusst diesen Beruf gewählt haben, schon in der Ausbildung aussteigen, zeigt das: Strukturen, Betreuung und Rahmenbedingungen sind nicht tragfähig.

Um die Pflege langfristig zu sichern, braucht es:

  • Bessere Praxisanleitung: Jede Einrichtung muss sicherstellen, dass Auszubildende verlässlich und strukturiert begleitet werden.
  • Realistische Arbeitsbelastung: Azubis dürfen nicht als Ersatz für fehlendes Fachpersonal missbraucht werden.
  • Transparente Kommunikation: Junge Menschen müssen vor Ausbildungsstart wissen, welche Herausforderungen sie erwarten und welche Chancen der Beruf langfristig bietet.

Pflege darf nicht zur Belastung werden

Die Pflege ist einer der Berufe mit der größten gesellschaftlichen Bedeutung. Doch solange Ausbildungsabbrüche in so hoher Zahl stattfinden, gefährdet das nicht nur die Fachkräftesicherung, sondern auch die Versorgungssicherheit einer alternden Gesellschaft.

Pflege darf nicht von einer wertvollen Aufgabe zu einer Überforderung werden. Nur wenn wir die Ausbildung realistisch gestalten, Azubis ernst nehmen und sie professionell begleiten, können wir die Fachkräfte gewinnen und halten, die wir dringend brauchen.

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